
Tödliche Flucht über das Mittelmeer
Klimaschutz und ein Leben in menschenwürdigen Bedingungen sind Menschenrechte! Zu den vielen Gründen, warum Menschen ihre Heimat verlassen müssen, zählen auch Extremwetterereignisse, die vom Klimawandel verstärkt werden. Vielen bleibt angesichts von Dürren und Überschwemmungen nur die Flucht über das Mittelmeer, das als eine der tödlichsten Grenzen der Welt gilt. Seit 2014 werden im zentralen Mittelmeer mehr als 23.000 Menschen vermisst.
Als zivile Rettungsorganisation hat SOS Humanity seit ihrer Gründung 2015 mehr als 37.000 Kinder, Frauen und Männer aus Seenot gerettet. Dank der breiten Unterstützung aus der Zivilgesellschaft ist die Organisation mit ihrem Rettungsschiff Humanity 1 ganzjährig im Mittelmeer im Einsatz.
Infos zum ökologischen Fußabdruck
Der ökologische Fußabdruck gibt die biologisch produktive Fläche der Erde an, die notwendig ist, um den Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen zu ermöglichen. Um sicherzustellen, dass zukünftige Generationen noch nutzbare Ressourcen haben, müsste der ökologische Fußabdruck bei 1,63 Hektar pro Person liegen. Jedoch liegt der weltweite Durchschnitts-Fußabdruck pro Person bei 2,75 globalen Hektar. Umgerechnet bräuchten wir also 1,7 Erden, um unsere jährlichen Ressourcenbedarf zu decken.
In Zusammenarbeit mit:
Seenotretter*innen erzählen:
„Diese seeuntauglichen Boote können schnell kentern oder stehen schon voll Wasser. Menschen können vor Erschöpfung über Bord fallen und geraten in den Wellen außer Sicht.“
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Ich komme gerade von einem mehrwöchigen Einsatz auf dem Rettungsschiff Humanity 1 und bin nun zurück aus dem Mittelmeer. Das „Get ready to rescue, get ready to rescue!“ hallt mir noch im Kopf nach. Alles geht nach so einem Alarm so schnell, dass du kaum nachdenkst: Rettungsweste mit Gurt, Helm, Stirnlampe, kurze Besprechung mit Blick in konzentrierte, angespannte Gesichter, die Leiter runter ins Schnellboot und plötzlich: Die unendliche Weite des Meeres, Dunkelheit.
Wir schießen über die Wellen hinweg auf der Suche nach dem Boot in Seenot. Irgendwo hier muss es sein, über uns der weite Sternenhimmel. Und plötzlich ein leuchtender Punkt am Horizont, wie ein Stern. Wir kommen näher und erkennen, dass die Bootsinsassen uns mit der Taschenlampe ihres Handys entgegen leuchten. Verzweifelt, erschöpft, erleichtert.
Das Wichtigste ist jetzt, Ruhe zu vermitteln und schnell die Rettungswesten auszuteilen. Die Angst steht diesen Menschen ins Gesicht geschrieben. Verunsichert, aber erleichtert steigen sie rüber in unser Schnellboot, ganz langsam, damit es nicht kentert, dann bringen wir sie zur Humanity 1. Diesmal ging alles gut, so gut es gehen kann. Diesmal. Diese seeuntauglichen Boote können schnell kentern oder stehen schon voll Wasser. Menschen können vor Erschöpfung über Bord fallen und geraten in den Wellen außer Sicht. Und manchmal müssen wir Tote bergen.Einer der Geretteten aus Äthiopien erzählte mir später, dass er der Hungersnot in Tigray entflohen ist. Zuerst hat die schwerste Dürre seit 30 Jahren seine Ernte vernichtet, danach kamen die Wassermassen und entrissen ihm sein Zuhause. Alle Familienmitglieder starben, es gab keine Existenz mehr für ihn. Dann entschied er sich nach Libyen zu gehen und schließlich das Boot nach Europa zu besteigen.
Die Menschen, die wir in den letzten Jahren mit der Humanity 1 retten konnten, kamen größtenteils aus Syrien, viele auch aus Ägypten, Äthiopien, Bangladesch, der Elfenbeinküste, Gambia oder dem Sudan. Oft bleibt ihnen nur die gefährliche Flucht über das Mittelmeer, und die meisten flüchten über Libyen. Ihre Gründe dafür sind so vielfältig wie die Menschen: Gewalt, Hunger, Verfolgung, Unterdrückung, Verlust der Existenzgrundlage aufgrund von Naturkatastrophen oder wegen der Folgen des Klimawandels.
Was die geretteten Menschen an Bord der Humanity 1 verbindet, ist die Hoffnung auf Überleben. Eine Perspektive auf Sicherheit. „Ich würde lieber auf dem Meer sterben als einen Tag länger in Libyen zu bleiben!“ ist ein Satz, den wir als Crew oft hören. Viele berichten, dass sie die Überfahrt mehrmals versuchen, aber jedes Mal von der sogenannten libyschen Küstenwache aufgegriffen und zurück in teils unmenschliche Lager gebracht werden, wo ihnen Folter droht. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten finanzieren diese gewalttätigen Aktionen mit der Begründung, Menschen vor den Gefahren des Mittelmeers zu beschützen. Dabei heizen sie den Kreislauf aus Menschenhandel und Flucht damit an – das zeigen die vielen wiederholten Fluchtversuche. Denn einen anderen Weg als den über das Mittelmeer gibt es für viele nicht, sichere Fluchtwege sind politisch nicht gewollt.
Solange sich daran nichts ändert, mache ich weiter. Als Zivilgesellschaft dürfen wir nicht wegsehen, wenn Menschen auf der Flucht ertrinken. Punkt. Ich höre nicht auf, der Öffentlichkeit über die Zustände auf dem Mittelmeer zu erzählen. Wir müssen endlich von den europäischen Staaten einfordern, was ihre rechtliche Pflicht ist: Menschen in Seenot zu retten, sichere Fluchtrouten zu schaffen und den Klimawandel als Fluchtursache anzuerkennen und endlich effektiv zu bekämpfen!
Entstehung der Audiobeiträge
Die Beiträge entstanden auf Grundlage unterschiedlicher methodischer Ansätze: Einige beruhen auf persönlichen Interviews mit Betroffenen, die bereit waren, ihre Perspektiven offen zu teilen und auch sichtbar in Erscheinung zu treten. Andere wurden aus verschiedenen Quellen – darunter Interviews, Videomaterial und vertiefende Recherchen – zu exemplarischen Erzählungen über klimabedingte Flucht- und Anpassungsprozesse verdichtet. Sie geben jenen eine Stimme, die aus unterschiedlichen Gründen nicht persönlich in Erscheinung treten möchten: aus Angst vor Bedrohung oder rechtlichen Konsequenzen, zum Schutz der Privatsphäre, aus emotionaler Überforderung oder aufgrund möglicher gesellschaftlicher Stigmatisierung. So werden auch die Stimmen hörbar, die sonst oft ungehört bleiben – obwohl sie viel zu erzählen haben.

Pate werden
Du möchtest dein Engagement für Klimagerechtigkeit sichtbar machen? Wir laden dich ein Pate oder Patin einer unserer 21 Ausstellungsfiguren zu werden und ihrer Geschichte eine Stimme zu geben.


